Der Vorreiter

Dr. Lienhard Wegewitz, AG Maus-Friedrichs, CZM

Team FDM: Hallo Lienhard. Vielen Dank, dass du dich für dieses Interview bereiterklärt hast. Da es ja auch das erste Interview dieser Art ist, das für die Homepage geführt wird, werden wir uns zunächst an einem Fragenkatalog langhangeln, der auch in Zukunft den Rahmen für diese Art Interviews bilden soll. Wenn wir davon abweichen und darüber hinaus Themen abdecken, umso besser.

Wann wurdest du zum ersten Mal mit dem Thema oder auch nur dem Begriff Forschungsdatenmanagement konfrontiert?

Lienhard Wegewitz: Das müsste 2012 oder 2013 gewesen sein. Bei Vorarbeiten zu einem DFG-Antrag habe ich den Aspekt der Datenspeicherung in den Antragsunterlagen gesehen. Dadurch bin ich, auch durch persönliches Interesse, in das Themengebiet gute wissenschaftliche Praxis eingestiegen. Über die Jahre hat sich damit einiges an Wissen angesammelt, das auch stellenweise schon in die Tat umgesetzt werden konnte.

FDM:Die Situation in eurer AG wurde ja schon von uns besprochen. Insofern die bewusste Nachfrage: Kannst oder konntest du bei deiner Arbeit von bereits bestehenden Strukturen profitieren?

LW: Sehr sogar. In der AG WMF existierte schon vor meiner Zeit ein klar strukturiertes System zur Ablage von Rohdaten. Diese wurden im Netzwerk in einer vorgegebenen Ordnerstruktur gespeichert, die auch Regularien für die Dateinamen enthielt. Datum, Messmethode und Probe können beispielsweise aus dem Dateinamen hervorgehen. Diese Rohdaten liegen auch noch für sehr alte Experimente auf unseren Servern, bleiben also im Original unverändert. Wir versuchen bei allen zu verankern, dass keinerlei Forschungsdaten dauerhaft auf Arbeitsrechner gehören. Netzlaufwerke oder die TU Cloud sollen dafür genutzt werden.
Wo es möglich war, haben wir sogar die Software der Geräte so vorkonfiguriert, dass nur noch kleinere Änderungen an den Dateinamen vorzunehmen sind. Für unsere Laborbücher existiert auch eine Farbkodierung, die die Suche nach Einträgen deutlich erleichtert, da Messungen und Wartungen deutlich voneinander unterscheidbar sind.

FDM:Das klingt wirklich durchdacht, Hut ab! Aber was ist mit den Metadaten? Werden die nur über die Dateinamen erfasst?

LW: Nein, Metadaten liegen natürlich auch in den Headern der Rohdaten und sollten auch in den Laborbüchern erfasst sein. Wobei mit der Einführung des elektronischen Laborbuchs jetzt dort der größte Anteil der Informationen liegen dürfte.

FDM:Das wirkt schon fast so, als wäre das Arbeitsumfeld ideal. Gibt es trotzdem noch etwas, was dir für ein, hinsichtlich Forschungsdatenmanagement, ideales Arbeitsumfeld fehlt?

LW: Was die Arbeit schon erschwert, sind die proprietären Dateiformate der Anlagenhersteller. Oft gibt die Software der Geräte die Dateien in einem Format aus, das nur mit der zugehörigen Software auch wieder gelesen werden kann. Bei alten Geräten kann es dann dazu kommen, dass die Software auf neueren Betriebssystemen nicht mehr läuft. Außerdem sind die Lizenzen für solche Software gerne mal an Einzelplätze gebunden. Die ersten Auswerteschritte müssen dann immer an diesen Rechnern erfolgen. Natürlich gibt es auch Workarounds, aber diese führen entweder zu erheblichem Mehraufwand oder auch gerne mal zu einem Informationsverlust, da nicht immer alle Aspekte der Daten kopiert werden (können).
Oft gibt es auch, für uns, den Nachteil, dass der Ablageort nicht automatisiert vorgegeben werden kann. Für den Nutzer ist es dann wieder ein längerer Prozess, bis die Daten an ihrem Bestimmungsort liegen.

FDM:Eine wirklich Open-Source-Kultur gibt es da nicht? Von Großforschungseinrichtungen ist das ja durchaus bekannt.

LW: Nein, da müsste ein Kulturwechsel stattfinden, der momentan jedoch nicht absehbar ist.

FDM:Wie schätzt du die Übertragbarkeit eurer Strukturen auf andere Arbeitsgruppen oder auch ganz andere Fachbereiche ein?

LW: Ich denke, gerade das elektronische Laborbuch ist für alle Fachbereiche nutzbar und wird bei uns in der AG extrem gut angenommen. Alle Werkzeuge sind aber nutzlos, wenn nicht die passende Kultur implementiert und auch forciert wird. Man braucht mindestens einen Mitarbeiter, der das Thema eigenverantwortlich in die Hand nimmt und vorangeht.

FDM: Hast du denn Tips für Wissenschaftler, die erstmalig Strukturen für ein effektives Forschungsdatenmanagement etablieren wollen?

LW: Wie gerade schon gesagt, das Interesse muss da sein. Wie das begründet ist, ist erstmal egal. Intrinsische Motivation ist aber immer besser als Druck durch die Fördermittelgeber. Am besten macht man sich zu Beginn mal Gedanken, wie die Struktur alle Bereiche abdecken kann, sozusagen einen Datenmanagementplan für die alltägliche Arbeit. Wenn man diese Abläufe mal ordentlich abgebildet hat, kann man daraus Strukturen entwickeln. Wichtig ist, dass der Leiter der Gruppe den Prozess mitträgt. Er muss sowohl über die endgültige Struktur entscheiden als auch diese aktiv von seinen Mitarbeitern einfordern. Wirklich durchsetzbar ist das bis zur Ebene der Rohdaten. Die tatsächliche Auswertung der Daten ist dann wieder ein anderer Aspekt, bei dem man den Wissenschaftlern auch ihre Freiheit lassen sollte.
Zusammengefasst lässt sich hier sagen, dass ein derartiger Prozess auf jeden Fall Zeit kostet - Zeit die leider viel zu oft fehlt.

FDM:Darin lässt sich aber auch ein Arbeitsauftrag für uns erkennen, dass wir die Schaffung von Strukturen erleichtern und aktiv unterstützen, damit weniger Zeitaufwand nötig ist. Das nehme ich gerne so mit. Vielen Dank, Lienhard, für dieses Gespräch!

Dr. Lienhard Wegewitz

In Clausthal seit:
2006 - 2015 und 2018 - heute

Einrichtung:
CZM

Arbeitsgruppe:
Prof. Maus-Friedrichs

Funktion:
PostDoc - Projektleitung, Antragstellung und Wissenschaftsmanagement

Forschungsschwerpunkte:
Oberflächen- und Materialanalytik, Anwendung kalter Plasmen, SFB sauerstofffreie Produktion

Außerdem:
Ökolandwirt im Nebenerwerb
"All we have to decide is what to do with the time that is given to us." -- J.R.R. Tolkien